Strandgut

 

Strandgut

Strandgut ist eine der Kurzgeschichten mit denen ich an einem Wettbewerb teilgenommen habe. Das vorgegebene Thema damals war Strand. Und mehr will ich dazu ersteinmal auch nicht sagen.

 


Mara wollte gerade wieder zum Strandhaus zurück, als sie etwas zwischen den Steinen glitzern sah. Schnell lief das Mädchen darauf zu und entdeckte einen Glasdelfin. Nein, eigentlich war er aus Kunststoff, aber das machte ihr nichts aus. Er war wunderschön. Lächelnd drehte sie ihn, und das Sonnenlicht reflektierte in allen Regenbogenfarben. So wollte sie auch sein. Schön und schnell und frei. Sie warf einen Blick auf den Beutel mit Strandgut den sie bei sich trug. Sollte sie den Delfin dazulegen? Er war sicher nicht viel wert, also kein großer Gewinn für die Strandkinder. Früher hätte sie nicht gezögert den Delfin zu den anderen Sachen zu legen. Früher, als Jake noch ihr Anführer war. Jake hätte ihr den Delfin gelassen, wenn sie ihm gesagt hätte dass sie ihn wollte. Doch die Polizisten hatten ihn in der Stadt erwischt und jetzt war er in einem Heim und Mika war ihr neuer Anführer. Und er wollte, dass keiner von ihnen etwas Eigenes besaß. Alles was die Kinder an Strandgut sammelten oder in der Stadt stahlen, musste den Strandkindern als Gruppe gehören. Aber eigentlich meinte er damit, dass alles ihm gehörte. Mika und seinen Schoßhündchen, wie Mara sie nannte. Sie taten alles was er wollte und sie waren immer um ihn herum. Mara hatte Angst vor ihnen. Einmal hatte Benji etwas gegen Mika gesagt und die Schoßhündchen hatten ihn verprügelt bis er nicht einmal mehr aufstehen konnte. Er hatte schlimm ausgesehen, Mara hatte schon Angst gehabt der Junge würde sterben. Seitdem hatte es keines der andern Kinder mehr gewagt, etwas gegen Mika zu sagen.

Mara warf einen raschen Blick nach links und rechts, dann steckte sie den Delfin in ihre Hosentasche, den sollte er nicht bekommen. Dann nahm sie ihren Beutel und ging zurück zum Strandhaus. Eigentlich war der Begriff Haus schon zu viel für die alte Bootshütte in der die Strandkinder hausten, trotzdem war es fast schon ein zu Hause für Mara geworden. Das Strandhaus lag versteckt zwischen Felsen und Bäumen abseits des eigentlichen Strandes, sodass man es nicht sah wenn man nicht wusste, dass es dort war. Es hatte keinen Boden außer dem Sand und zum Meer hin war es halb offen, trotzdem hatte Mara schon schlechtere Unterkünfte gehabt. Sie stieß die Tür auf und trat ins Innere.

„Ooooh. Sieh an, sieh an. Gibt uns die kleine Göre doch noch die Ehre ihres Erscheinens. Ich dachte schon ich müsste Billy losschicken um dir tragen zu helfen. Denn du musst ja einen großen Fund gemacht haben, dass du so lange fort warst!“

Mika stand auf einer Kiste und sah sie mit kalten, grausamen Augen an. Wie immer, wenn er sie ansprach bekam Mara eine Gänsehaut. Sie hasste seine Stimme. Sie war kalt, grausam und unheimlich. Genau wie er. Ungeduldig wedelte er mit der Hand.

„Na mach schon, Mädchen. Leer deinen Beutel aus. Ich will sehen was dich so sehr aufgehalten hat.“

Mara tat was er ihr gesagt hatte und leerte den Inhalt ihres Beutels auf den Boden. Zwei verschiedene Schuhe kamen zum Vorschein. Eine Glasflasche und zwei Bücher, die wohl jemand vergessen hatte. Mika sprang von seiner Kiste und hob eines nach dem anderem auf und betrachtete jedes Ding eingehend. Dann sah er wieder sie an.

„Und? Was davon hat dich so lange beschäftigt, Kleine? Hast du die Bücher gelesen bevor…“

Plötzlich stockte er und sein Blick blieb an ihrer Hosentasche hängen. Mara spürte wie sie zu schwitzen begann. Sie hätte den Delfin doch dazulegen sollen. Jetzt würde sie Ärger bekommen.

„Was haben wir denn da? Was hält die kleine Prinzessin denn da versteckt?“, fragte Mika und sah sie an wie ein Jäger, der weiß dass seine Beute in der Falle sitzt.

„Nichts…das ist nichts! Wirklich Mika!“, brachte Mara zu ihrem eigenen Erstaunen hervor.

„Ach?“, fragte Mika und legte seinen Kopf schief, „Das werden wir ja sehen. Billy! Halt sie fest!“

Starke Hände packten sie von Hinten an den Armen und Mara wusste, dass es sinnlos war sich zu wehren, trotzdem versuchte sie sich aus dem Griff zu winden. Mika störte sich nicht daran, sondern griff in ihre Hosentasche und holte den Delfin heraus. Er stieß einen Pfiff aus und drehte ihn in seiner Hand.

„Das ist also…Nichts?“

„Aber der ist doch nur aus Kunststoff! Der ist doch überhaupt nichts wert! Du kannst doch nichts mit ihm anfangen!“, platze es aus Mara heraus.

Plötzlich lag sie im Sand. Sie hatte Mikas Schlag nicht kommen sehen, doch jetzt schmeckte sie das Blut in ihrem Mund, wo sie sich auf die Zunge gebissen hatte. Grob packte er sie an den Haaren und zog sie dicht vor sein Gesicht. Mara dachte er würde ihr die Haare ausreißen, so sehr schmerzte es. Sie unterdrückte einen Schrei, doch ein leises Wimmern konnte sie sich nicht verkneifen.

„Was glaubst du eigentlich wer du bist, Mädchen? Du bist nur ein kleines, verzogenes, achtjähriges Gör. Und du willst mir erklären was einen Wert hat und was nicht?“

Seine Stimme hatte einen drohenden Unterton angenommen und Mara konnte nur mit vor Angst geweiteten Augen in sein Gesicht starren. Mit einem Ruck ließ Mika ihre Haare los und sie landete wieder auf dem Boden.

„Du bist eine Diebin, Mädchen. Du hast die Gruppe bestohlen. Aber zu deinem Glück haben wir hier Verwendung für Diebe. Geh in die Stadt und hol uns etwas zu essen. Und..“, er packte ihr Kinn mit einer Hand, „Komm ja nicht wieder zu spät!“

Schnell rappelte Mara sich auf und lief davon. Sie hasste es zu stehlen und Mika wusste das genau. Es war eine Sache verlorenes oder vergessenes Strandgut aufzusammeln, aber es war etwas ganz anderes fremde Dinge die noch jemanden gehörten einfach zu nehmen.

Erst als sie die Stadt erreicht hatte, wurden Mara langsamer. Ein laufendes Mädchen war auffällig. Wenn sie stehlen wollte, durfte sie nicht auffallen.

„Mara!“, hörte sie da plötzlich eine Stimme hinter ihr. War das…Sie drehte sich um…Jake! Sie lief zu ihm und fiel ihm in die Arme. Jake lachte und schob sie von sich, sodass er ihr ins Gesicht sehen konnte.

„Hey, kleine Mara, wie geht’s dir? Was machst du in der Stadt? Zwingt Mika dich etwa zu stehlen? Er führt doch jetzt die Strandkinder an, oder?“

Eine Träne stahl sich über Maras Wange und Jake drückte das schluchzende Mädchen wieder an sich.

„Ist ja gut, Kleine. Weißt du was? Komm doch mit mir! Im Heim ist genügend Platz und sie nehmen dich sicher auf. Weißt du, es dort überhaupt nicht so wie sie immer gesagt haben. Gut, man kann nicht immer genau das machen was man will, aber es gibt keine Prügel und wir haben auch Ausgang, also es nicht das Gefängnis als das wir es uns vorgestellt haben. Ich bin mir sicher, es würde dir gefallen.“

Zweifelnd blinzelte Mara ihre Tränen aus den Augen und sah zu ihm hoch. In diese wunderbar lustigen blauen Augen.

„Aber Mika…“, stammelte sie, „Er wird böse wenn ich nicht wieder komme, und…dann werden Billy und die anderen Schoßhündchen kommen und mich wieder holen!“

„Siehst du die fünf Jungs dort drüben, Mara?“, fragte Jake und deutete auf fünf Jungen die etwa sechzehn Jahre alt sein mussten und sie von etwas abseits beobachteten, „Das sind meine Freunde aus dem Heim. Und sie werden auch auf dich aufpassen wenn ich sie darum bitte. Und ich glaube die sind stärker als Mikas Schoßhündchen, meinst du nicht auch? Also, was ist?“, Jake stand auf und hielt ihr die Hand hin, „Kommst du mit?“

„Ja“, sagte Mara, nahm seine Hand und gemeinsam gingen sie zu Jakes Freunden.

Und sie fühlte sich so glücklich und frei wie schon lange nicht mehr.

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