Clair de Lune
Auch diese
Geschichte ist für einen Wettbewerb entstanden. Diesmal zum Thema Musik erleben. „Clair de Lune“ ist ein
Musikstück von Claude Debussy, das ich kenne weil Alexander Rybak es spielt.
Alexander Rybak ist ein norwegischer Violinist, Sänger, Komponist und
Schauspieler und er spielt wirklich fantastisch Violine. Ich kenne ihn weil er
2009 den Eurovision Song Contest für Norwegen gewonnen hat. Aber fast lieber
als ich ihn singen höre, sehe ich ihm beim Geige spielen zu. Und deshalb hab
ich mir ihn und seine Interpretation von Debussys Stück für diese Geschichte
ausgesucht.
Hitze
schlug Annika entgegen, als sie die Tür zu ihrer Dachgeschosswohnung aufmachte.
In dem Moment fiel ihr wieder ein, dass sie ja eigentlich vorgehabt hatte, die
Fenster zu kippen und die Vorhänge zu zu ziehen, bevor sie am Morgen zur Arbeit
gegangen war. Im Wetterbericht hatten sie ja gesagt, dass heute ein heißer Tag
werden würde, was für sie bedeutete, dass ihre kleine aber feine Dachgeschoßwohnung
ein ziemlicher Ofen wurde. Es sei denn, man ließ die Sonne nicht herein und
sorgte dafür, dass die Luft durchziehen konnte.
Satz mit X, war wohl nix.
Kurz
überlegte sie, ob sie nicht einfach die Tür wieder zumachen und gehen sollte.
Allerdings würde das erstens das Problem nur verschieben, und zweitens war
heute Donnerstag, das hieß heute kam ihre Nichte nach der Schule zu ihr, da
konnte sie schlecht einfach abhauen.
Seufzend
und über sich selbst und ihre Dummheit schimpfend ging sie in die Wohnung und
riss nach der Reihe alle Fenster auf. Der kühle Luftzug, der hereinkam war eine
Wohltat und Annika blieb beim Wohnzimmerfenster stehen und lehnte sich ein
Stück weit hinaus. Sie schaute kurz auf ihre Armbanduhr. Halb eins. In einer
halben Stunde würde Lena kommen, bis dahin würde sie einfach hier beim Fenster
bleiben.
Geigenmusik
drang an ihr Ohr und Annika musste nicht lange suchen woher sie kam. In dem
Haus gegenüber, genau ein Stockwerk unter ihr, wohnte ein junger Mann, der
Geige spielte. Meistens spielte er Klassik, was jetzt nicht unbedingt Annikas
Lieblingsmusik war, aber es war auch immer wieder etwas dabei, was ihr gut
gefiel. Sie kannte sich zwar nicht wirklich aus, aber sie war der Meinung, dass
der junge Mann sehr gut spielen konnte. Jedenfalls war es sehr schön, ihm dabei
zu zu sehen. Und das lag jetzt nicht nur daran, dass er ziemlich gut aussah.
Nein, wenn er spielte schien das Instrument in seinen Händen ein lebendiges Wesen
zu werden. Je länger sie ihn beobachtete umso weniger wusste sie manchmal ob
der Mann die Geige spielte, oder ob das Instrument einfach nur jemanden
brauchte der es hielt, damit es leben und machen konnte was es wollte. Die
beiden waren so eine Einheit und es war so schön sie zu beobachten, dass Annika
sicher schon Stunden damit am Fenster verbracht hatte.
Sie sah zu
dem Musiker hinüber. Sein Blick war weit in die Ferne gerichtet, als ob er
überhaupt nicht wirklich hier wäre, sondern nur sein Körper. Das verstärkte den
Eindruck, dass die Geige von selbst diese wunderschöne, ein wenig
melancholische Melodie spielte nur noch mehr. Die Melodie wurde schneller und
der Mann schloss die Augen und senkte den Kopf, sodass ihm die braunen Haare
ins Gesicht fielen. Sein Körper ließ sich von der Musik mitreißen und Annika
bewunderte einmal mehr die Intensität mit der der Man spielte. Es war als wäre
er in einer anderen Welt solange das Stück dauerte. Und auch wenn er ständig in
Bewegung war, strahlte er eine solche Ruhe und Gelassenheit und vor allem
Leichtigkeit aus, dass sie jedes Mal wieder staunte. Was wohl in seinem Kopf
vor sich ging, wenn er so spielte?
Plötzlich
kam Annika ein Gedanke. Sie hatten doch in der Schule im Musikunterricht einmal
eine Art Experiment gemacht. Jeder Schüler hatte einen Stift und ein Blatt
Papier bekommen und alle mussten die Augen schließen. Dann hatte die Lehrerin
Musik gespielt und alle mussten mit geschlossenen Augen mit dem Stift malen, im
Gefühl das ihnen die Musik gab. Natürlich waren dabei jetzt keine wunderschönen
Zeichnungen heraus gekommen, aber es war ganz lustig gewesen.
Kurz
entschlossen schnappte sich Annika jetzt ihren Block und einen Stift und
stellte sich wieder zum Fenster. Sie schloss die Augen und atmete tief durch.
Sie lockerte ihre Schultern und ließ sich und ihren Stift von der Musik
mitreißen.
Die Musik war sanft und ruhig. Wie eine Waldlichtung, wo die ersten Sonnenstrahlen durch die Bäume drangen. Zwei Rehe grasten ruhig und friedlich vor sich hin. Ein Schmetterling suchte sich seinen Weg und in den Sonnenstrahlen funkelten die Staubkörner. Zwei Vögel kamen aus dem Wald und schraubten sich mit der jetzt intensiver und schneller werdenden Musik in den Himmel vorbei an den Bäumen, über Wiesen und am Wasserfall vorbei. Bis sie sich mit der wieder ruhiger werdenden Musik auf dem Mast eines alten Segelschiffes niederließen. Das Schiff schaukelte und die Vögel hatten alle Mühe sich zu halten. Der Fluss wurde schneller und ihr Blick folgte dem Wasser das im Rhythmus der Musik über Steine und durch Stromschnellen plätscherte, bis es in einem tosenden Wasserfall nach unten fiel und in einem großen See endete. Ruhig schien das Wasser hier zu liegen. Ruhig wie auch die Musik jetzt geworden war. Ganz sanft waren die Töne und Annika merkte erst jetzt wie sehr sie sich entspannt hatte, obwohl sie irgendwie doch angespannt wartete wie es weiterging.
Sanft und
leise wurden die Töne höher und auch Annika fing an zu schweben. Von dem See
weg und immer höher, immer höher. Bis sie über den Wolken schwebte. Eine Weile
blieb sie dort oben und genoss die Ruhe und den Frieden dort, dann sah sie
hinunter auf die Erde wo geschäftiges Treiben herrschte. Sie beobachtete die
Menschen dort unten und sah alles ganz deutlich, obwohl sie doch oben in den
Wolken war. Ein Mann, der mit einer jungen Frau zusammenstieß und lächelnd um
Entschuldigung bat. Ihre klaren braunen Augen hielten seine einen Moment zu
lange fest und mit roten Wangen wandte sie sich wieder ab. Kinder spielten
fröhlich am Schulhof und lachten…
„Hallo
Tante Anni, was machst du denn da?“
Annika
schrie vor Schreck auf, ließ den Stift fallen und fuhr herum. Vor ihr stand
Lena und sah sie, nun vor Schadenfreude grinsend, neugierig an. Erleichtert
atmete Annika aus.
„Gott, hast
du mich jetzt aber erschreckt. Wie kommst du hier eigentlich herein?“
„Du hast
die Tür offen gelassen. Hast du gezeichnet?“
„Jap“
„Darf ich
mal sehen?“
Annika gab
ihr den Block und das Mädchen betrachtete ihn stirnrunzelnd.
„Und was
soll das sein?“
„Musik.“
„Du
zeichnest Musik?“, frage sie skeptisch und sah sie an als ob sie den Verstand
verloren hätte. Sie gab ihr den Block zurück und sagte: „Sieht eher aus wie
eine Schnecke auf Campingausflug.“
„Was!?“,
jetzt war es Annika die verblüfft war. 
„Ja
sicher“, bekräftigte das Mädchen, „Schau, hier ist der Kopf“, sie fuhr mit dem
Finger über eine lange Linie die in einem Bogen wieder zurückführte, und
wirklich eine Ähnlichkeit mit dem Kopf einer Zeichentrick-Schnecke hatte. „Und
das hier könnte das Haus sein, allerdings sieht das eher aus wie ein
Campingwagen. Also, eine Schnecke auf Campingausflug!“
Triumphierend
sah Lena zu ihr herauf. Und Annika musste ihr Recht geben. Jetzt wo sie es
erklärt hatte, sah auch sie nicht anderes mehr als eine Schnecke mit
Campingwagen. 
„Was gibt’s
denn heute zu essen, Tante Anni?“, kam jetzt die Frage von unten.
Annika
legte den Block beiseite und hockte sich hin, damit sie der Kleinen in die
Augen schauen konnte. 
„Wir kochen
heute mal nichts, weil es in dieser Wohnung sowieso schon heiß genug ist. Wir
gehen jetzt zum Italiener und kaufen uns eine Pizza und wenn wir wieder zurückgehen
nehmen wir uns ganz viel Obst mit und dann machen wir Obstsalat, was sagst du
dazu?“
Lena
jubelte und Annika fing an zu lachen. 
„Na dann
mal los“, sagte sie und stand auf.
Später am
Abend, als sie wieder alleine war, betrachtete sie nochmal die verschlungenen
Linien auf ihren Block. Der Geiger spielte jetzt schon lange nicht mehr, aber
er schien zu Hause zu sein, denn in seiner Wohnung brannte noch Licht.
Bevor sie
es sich wieder anders überlegen konnte, riss sie den Zettel vom Block ab,
schnappte sich ihre Schlüssel und lief die Treppen hinunter aus dem Haus und in
das Haus gegenüber, bis sie in dem Stockwerk war, in dem er wohnte. „Fischer“
stand auf dem kleinen Schildchen über der Klingel. So hieß er also. Sie atmete
nochmal tief durch, dann klingelte sie. 
Drinnen
rumpelte es und nach kurzer Zeit hörte sie wie der Schlüssel im Schloss gedreht
wurde und der Musiker öffnete die Tür. Seine braunen Augen sahen sie fragend
an.
„Hallo?“
„Ähm,
hallo, Herr Fischer. Mein Name ist Annika. Ich wohne im Haus gegenüber, ganz
oben. Ich höre Sie öfters spielen und heute Nachmittag hab ich Ihre Musik
sozusagen gezeichnet“, sie malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft,
„Also, wenn ich die Augen schließe, mich nur auf die Musik konzentriere und den
Stift einfach laufen lasse, kommt bei dem Stück, dass Sie heute gespielt haben,
das hier heraus.“
Sie reichte
ihm das Blatt Papier und er betrachtete es neugierig. 
„Bei dem
Haken hier, ist dann meine Nichte hereingekommen und hat mich erschreckt. Sie
findet übrigens, dass es aussieht wie eine Schnecke auf Campingausflug.“
Der Mann
lachte kurz.
„Eine
Schnecke auf Campingausflug?“, frage er ungläubig.
Annika
erklärte ihm wo die Schnecke war und er lächelte. 
„Clair de
Lune“, sagte er.
„Clair was?“, frage Annika.
„Clair de
Lune“, wiederholte er und grinste, „Das ist der Name des Stückes. Ist von
Claude Debussy, ein französischer Komponist. Es heißt soviel wie Mondschein.
Und mein Name ist übrigens Alexander“, er hielt ihr die Hand hin und sie
schüttelte sie, „ Es freut mich dass Sie mir das hier gebracht haben. Ist ganz
interessant zu sehen wie meine Musik auf andere wirkt. Auch wenn ich mir nie
gedacht hätte, dass man Debussy mit einer Schnecke auf Campingausflug verbinden
könnte.“ 
Er lachte
und sie plauderten noch ein Weilchen, bis Annika sich schließlich wieder auf
den Heimweg machte.
Am nächsten
Tag, als sie von der Arbeit nach Hause kam und zu seiner Wohnung hinübersah,
spielte er wieder. Annika beobachtet ihn eine Weile und als ob er es gespürt
hätte, sah er plötzlich hoch. Er lächelte und winkte zu ihr hoch. Zögerlich
winkte sie zurück. Dann legte er die Geige zur Seite, hielt eine Hand waagrecht
und tat mit der anderen so, als ob er zeichnen würde. Dann sah er sie
auffordernd an. Sie nickte und lächelnd holte sie sich ihren Block und einen
Stift. Sie zeigte mit dem Daumen nach oben und als er die Geige wieder auf
seine Schulter setzte, schloss sie ihre Augen, atmete durch und freute sich auf
neue Bilder in ihrem Kopf.
Das mit dem Augen
schließen, Musik hören und mit einem Stift blind über ein Blatt Papier
zeichnen, haben wir wirklich mal in der Schule gemacht und das war das erste,
was mir eingefallen ist, als ich das Thema „Musik erleben“ gelesen habe. Ich hab
das dann auch wirklich mit dem Video gemacht, leider hab ich den Zettel nicht
mehr. Aber es hat wirklich ausgesehen wie eine Schnecke mit einem Campingwagen
als Haus.
Alles Liebe
Janna Mohlét



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