Mila
Die erste Geschichte, die ich mit euch teilen will, ist die von Mila.
Mila ist ein achtzehnjähriges Mädchen, hat kurze, braune, leicht lockige Haare und braune Augen. Das wäre jetzt an sich noch nichts besonderes, aber trotz ihres jungen Alters hat sie schon eine ziemlich bewegte Vergangenheit, aber fangen wir von vorne an:Mila wuchs als Einzelkind in einer Wohnung in der Stadt
auf. Ihre Eltern waren weder arm noch reich, einfach ganz normal, und
eigentlich hätte ihre Kindheit sehr schön sein können. Ihre Mutter war eine
warme, freundliche Person, sie sang immer mit ihrer Tochter und kümmerte sich
gut um sie. Mila liebte sie sehr. Wenn sie alleine zu Hause waren, war die Welt
in Ordnung.
Auch Milas Vater war eigentlich ein sehr freundlicher
Mensch, wenn er nicht gerade betrunken war, nur war er leider sehr oft
betrunken. An den guten Tagen brüllte er nur wütend herum, doch an den
schlechten fing er an, Dinge kaputt zu machen und ihre Mutter zu schlagen. Wenn
er wieder nüchtern war, bereute er es fürchterlich und er entschuldigte sich
und machte ihr Geschenke und versprach, dass er sich ändern würde. Und für ein
paar Tage hielt er es sogar durch und trank nicht, aber dann ging alles wieder
von vorne los.
Mila hatte ihre Mutter mehr als einmal gefragt, warum sie
nicht einfach abhauen könnten, aber ihre Mutter hatte nur den Kopf geschüttelt,
sanft gelächelt und „Das wird schon alles gut.“ gesagt.
Als Mila sieben Jahre alt war, waren ihre Mutter und sie
alleine zu Hause und hörten wie ihr Vater, schon betrunken, nach Hause kam.
Ihre Mutter befahl ihr, sich unter der Couch zu verstecken und dann kam er auch
schon herein. Er schrie ihre Mutter an, gab ihr die Schuld an allem was in
seinem Leben schlecht war und begann Dinge nach ihr zu werfen. Mila schoss ihre
Augen und hielt sich die Ohren zu, sie versuchte nicht hinzuhören, aber es war
zu laut. Plötzlich hörte sie ihre Mutter schreien und es war anders als sonst,
ängstlicher, panischer. Mila wusste, dass sie ihre Augen nicht öffnen sollte,
aber sie konnte nicht anders. Und dann sah sie ihren Vater, über ihre Mutter
gelehnt, mit einem Messer in der Hand. Wieder und wieder rammte er das Messer
in ihren Körper, alles war rot von ihrem Blut. Mila bemerkte nicht, dass sie
schrie bis ihr Vater in ihre Richtung sah, das Gesicht verzerrt vor Wut und mit
glasigem, seltsam entrücktem Blick. Sofort verstummte sie. In dem Moment schien
er aufzuwachen und zu begreifen was er getan hatte. Das Messer fiel klirrend zu
Boden, er starrte auf seine blutigen Hände und flüsterte etwas, dass Mila nicht
verstand. Sie versuchte noch etwas weiter nach hinten zu krabbeln und stieß
sich den Kopf. Das Geräusch machte ihn wieder auf sie aufmerksam und langsam
kam er auf sie zu und kniete sich vor die Couch, sodass er sie sehen konnte. Er
machte ein freundliches Gesicht und sagte mit warmer Stimme: „Komm da raus
Schatz, ich tu dir doch nichts.“ Aber sie starrte nur auf seine blutigen Hände
und zitterte am ganzen Körper. Er versuchte nach ihr zu greifen, doch sie kroch
noch weiter zurück, sodass er sie nicht erreichen konnte. In dem Moment hörte
sie Geräusche an der Tür und die Polizei kam herein. Die Nachbarn mussten sie
gerufen haben. Mila nutzte das Durcheinander, kroch unter der Couch hervor,
rannte ins Bad, verschloss die Tür hinter sich, kletterte aus dem Fenster und
die Feuerleiter hinunter und dann rannte sie. Sie rannte so weit und so schnell
sie konnte, einfach nur weg.
Von dem Tag an, lebte Mila auf der Straße. Sie kam nur
einmal zur Wohnung zurück und holte Kleidung, ihren Teddybär und das blaue
Kleid ihrer Mutter, dass sie so sehr liebte. Sie stahl Essen und wusch sich auf
öffentlichen Toiletten. Sie schlief wo immer sie einen trockenen, sicheren
Platz fand und sie vertraute niemanden. Nicht anderen Leuten die ihr helfen
wollten und auch nicht der Polizei die oft versuchte sie aufzugreifen. Sie
reiste von Stadt zu Stadt, sodass sie sie nicht erwischten, aber sie kam immer
in ihre Heimatstadt zurück. 
Ihr Leben wurde besser, als sie neun Jahre alt war. Zu
der Zeit fand sie eine Gitarre, die irgendjemand weggeworfen hatte. Mila nahm
die Gitarre mit und versuchte darauf zu spielen. Ein alter obdachloser Mann
hörte sie und bot ihr an, ihr das Spielen beizubringen, wenn sie mit ihm dafür
im Park singen würde, weil die Leute für ein singendes Kind sicher mehr
hergeben würden, als für einen alten Mann der Gitarre spielte. Mila hatte den
Mann schon oft vorher im Park und an anderen Plätzen in der Stadt spielen
gehört und wusste, dass er wirklich gut war und so stimmte sie zu. 
So lebten sie die nächsten Jahre gemeinsam auf der
Straße, halfen sich gegenseitig und wurden wirklich gute Freunde. Sie spielten
Gitarre und sangen gemeinsam und die Leute gaben ihnen genug Geld, sodass Mila
ihr Essen nicht mehr stehlen musste. 
Nach vier Jahren starb der alte Mann im Schlaf und Mila
war wieder allein. Aber jetzt hatte sie ihre Gitarre und eine Möglichkeit Geld
für sich zu verdienen. Sie fing wieder an herum zu reisen und durch die Musik
lernte sie auch mehr Leute kennen, allerdings blieb sie nirgends lange genug,
dass sich daraus Freundschaften hätten entwickeln können. So vergingen die
Jahre und Mila führte ein einigermaßen zufriedenes aber auch sehr einsames
Leben.
Ihr Leben änderte sich erst wieder, als sie auf Justy
traf. Zu der Zeit war sie gerade wieder in ihrer Heimatstadt und hatte sich ein
Versteck im Turm einer alten, verlassenen Kirche eingerichtet. Das ist auch der
Punkt in ihrem Leben, an dem ich begonnen habe, ihre Geschichte zu schreiben.
Aber zuerst ein paar Worte zu Justy: Justy heißt eigentlich Justus, er findet
den Namen aber einfach wahnsinnig altmodisch und peinlich und besteht deshalb
darauf mit seinem Spitznamen gerufen zu werden. Ich kann euch leider auch nicht
genau sagen, wie er aussieht, weil mit das zurzeit selber nicht so klar ist,
aber dazu später mehr. Was ich euch sagen kann, er ist 23 Jahre alt, arbeitet
als Kellner, würde aber sein Geld viel lieber mit Musik verdienen, weil er ein
begnadeter Klavierspieler und Komponist ist. Aber halt leider noch unentdeckt.
Um genau das zu ändern, will er an einem Musikwettbewerb teilnehmen. Das
Problem ist nur, dass man bei diesem Bewerb auch singen muss und das ist nicht
wirklich seine Stärke, also braucht er jemanden der mit ihm im Duett auftritt.
Und wie es der Zufall will, hört er Mila im Park singen, ist hin und weg von
ihrer Stimme und will sie überreden mit ihm am Wettbewerb teilzunehmen. Nun ja,
die erste Begegnung der beiden verläuft nicht gerade optimal, aber seht selbst:
Milas nackte Zehen krallten sich in den
staubigen Teppichboden des alten, verlassenen Hotels. Als sie die Eingangstür
knarren hörte, drückte sie sich dichter an die breite Holzsäule und fasste die
Eisenstange in ihren Händen fester.
Er ist mir also wirklich gefolgt.
Sie hatte im Park Gitarre gespielt, aber es war kein guter Tag gewesen. Nicht mal zwanzig Leute waren vorbei gekommen und nur wenige hatten kleine Münzen in die Mütze, die sie vor sich auf den Boden gelegt hatte, geworfen. Deshalb hatte sich das achtzehnjährige Mädchen auf den Weg zum Seeufer gemacht, um zu sehen ob dort mehr los war. Schon nach drei Kreuzungen war ihr aufgefallen, dass der Kerl mit der Kappe und dem grünen Pulli immer dorthin abbog, wohin auch sie ging. Das konnte natürlich auch Zufall sein, deshalb war Mila ein paar Mal im Kreis gegangen und mehr oder weniger ziellos durch die Stadt gelaufen. Der grüne Kerl war ihr überallhin gefolgt. Daraufhin hatte sie beschlossen sich im alten „Hotel Taube“ zu verstecken. Sie hatte ihre Gitarre versteckt und sich mit einer Eisenstange bewaffnet hinter einer der großen Holzsäulen der Eingangslobby postiert.
Der Teppichboden dämpfte die schweren
Schritte die langsam auf sie zukamen. Gespannt hielt Mila den Atem an und
lauschte. Noch zehn Schritte dann war er bei ihr. So leise wie möglich hob sie
die Eisenstange. Noch fünf. Vorsichtig stellte sie einen Fuß an die Säule.
Drei. Zwei. Eins. Mit einem wilden Schrei stieß Mila sich von der Säule ab,
sprang auf den grünen Kerl zu und versetzte ihm mit ihrer Eisenstange einen
kräftig Schlag auf den Kopf.
Kurz sah sie den Schreck und den
Unglauben in seinen Augen, dann brach der Kerl zusammen. Schwer atmend ließ
Mila die Stange sinken und starrte den jungen Mann durch den aufgewirbelten
Staub an. 
Ist
er tot? 
Nein.
Er atmet. 
Eigentlich sollte sie sich jetzt
umdrehen und weglaufen, das war der Plan gewesen. Doch irgendetwas hielt sie
noch. Irgendwoher kannte sie diesen Mann. Vorsichtig ging sie auf ihn zu und
nahm ihm die Kappe vom Kopf. Sie musterte sein Gesicht. Dunkler Hauttyp,
schwarze Haare und braune Augen. Ein hübsches Gesicht. Er war im Park gewesen.
Auf der Bank gegenüber. 
Warum
ist er mir gefolgt? Was will er von mir?
Mila wich wieder ein paar Schritte
zurück und strich sich ihr altes, verwaschenes blaues Kleid zurecht. Es war
alles was sie mitgenommen hatte als sie vor sieben Jahren von zu Hause
weggelaufen war. Das einzige was sie noch von ihrer Mutter hatte.
Der Mann bewegte sich stöhnend und
schlug die Augen auf. Mila packte die Stange wieder fester und wich noch einen
Schritt zurück. Die Gelegenheit zum Weglaufen war vorbei, jetzt musste sie sich
dem stellen was auf sie zukam. Mühsam kam der Kerl auf die Beine und sah sie
an.
 „Hey! Hast du mich da gerade
niedergeschlagen?“
Er torkelte ein paar Schritte in ihre
Richtung. Mila hob ihre Stange und der Mann blieb abrupt stehen und hob
abwehrend die Hände.
„Okay, okay alles gut. Schon in
Ordnung. Ich komme in friedlicher Absicht. Ich schlage vor, wir fangen mal von
vorne an.“ 
Er stellte sich gerade hin, ließ die
Arme sinken und hielt ihr seine rechte Hand hin.
„Ich heiße Justus, aber eigentlich
nennen mich alle Justy, ist auch besser so. Wie heißt du?“
Mila.
Aber das geht dich nichts an, Justy.
Mila sah seine Hand an, dann sah sie
ihn an, sagte nichts und rührte sich nicht vom Fleck. Verlegen lächelnd nahm
Justy seine Hand wieder zurück und kratze sich damit am Hinterkopf.
„Also dann eben nicht. Auch gut. Also,
ich…ähm…es tut mir leid wenn ich dir Angst gemacht habe…also, ich wollte
nicht…“
Er stotterte noch weiter irgendwelche
sinnlosen Erklärungen, doch Mila hörte nicht wirklich hin. Sie musterte ihn. Er
war ohne Frage ein sehr schöner Mann, mit einem Lächeln und einen Blick aus
diesen lachenden, freundlichen Augen kam er vermutlich bei der Damenwelt sehr
gut an. Sie schätzte ihn auf ungefähr zwanzig und vermutlich kam mindestens ein
Elternteil nicht ursprünglich aus Europa, dem Hauttyp nach zu urteilen. Indien
vielleicht. Aber er sprach einwandfrei Deutsch, also war er sicher schon hier
aufgewachsen. Alles in allem schien er nicht der Typ zu sein der normalerweise
junge Frauen in verlassene Straßen verfolgte. Also was wollte er?
Aus den Augenwinkeln suchte Mila nach
einem Fluchtweg. Auf der Bank neben ihr lag ein alter Netzvorhang. Wenn sie ihm
den über den Kopf warf, konnte sie sich sicher genug Zeit erkaufen um
abzuhauen.
„…und dann hab ich dich im Park so
schön singen und spielen gehört und dachte mir, ich frage dich mal…also…ob du
mir nicht helfen könntest bei diesem Wettbewerb. Also, willst du?“
Er streckte wieder die Hand aus und
machte einen Schritt auf sie zu. Mila wich zurück und brachte sich damit einen
Schritt näher zu dem Vorhang.
„Hey, hey. Alles ist gut“, sagte Justy
beschwichtigend und lächelte sie an, „Ich tu dir doch nichts.“
Mila starrte ihn an und in ihrem Kopf
drehte sich alles.
Ich
tu dir doch nichts.
Justys Gesicht verschwamm vor ihren
Augen und wurde zu einem anderen.
Hey
Kleine, ich tu dir doch nichts.
Der Glatzkopf hinter „Bikas Bar“
Süße,
ich tu dir doch nichts.
Der schmierige Kerl im Park.
Komm,
ich tu dir doch nichts.
Die Frau unter der Brücke.
Komm
schon her, wir tun dir doch nichts.
Der Polizist in der Altstadt.
Komm
da raus Schatz, ich tu dir doch nichts.
Ihr Vater, nachdem sie gesehen hatte
wie er ihre Mutter getötet hatte.
Blitzschnell schnappte Mila sich den
Vorhang, warf ihn zusammen mit der Stange auf Justy, drehte sich um und lief so
schnell wie ihre Beine sie trugen davon.
Wer aufmerksam gelesen hat, dem wird aufgefallen sein, dass Justy in dem Text ausführlich beschrieben ist, obwohl ich doch gesagt hatte, dass ich nicht genau sagen kann, wie er aussieht. Dazu muss ich sagen, dass die eigentliche Inspiration für Justy und die ganze Geschichte der deutsche Schauspieler Kostja Ullmann ist, und der sieht nunmal so aus. Ich hab den Film „Die Zeit, die man Leben nennt“ gesehen, in dem er einen Pianisten spielt und deshalb wollte ich unbedingt einen Charakter für ihn der Klavier spielt. Mila war dann einfach…da. Also ich meine, es gab jetzt keine spezielle Inspiration für sie. Den Text hab ich schon so 2016 geschrieben. 2019 bin ich dann auf Billie Eilish gestoßen und was soll ich sagen, ich liebe ihre Stimme und ihre Art zu singen. Und eines Tages, als ich „Ocean Eyes“ gehört habe, hat es mich wie ein Blitz getroffen: „Das ist Mila!“ Und seitdem weiß ich nicht mehr wie Justy aussieht, weil Kostja und Billie irgendwie nicht zusammen passen. Dafür hat Mila endliche ein Gesicht und eine Stimme bekommen, auch wenn die Haare und Augen anders sind.
So, ich denke das wars jetzt erstmal mit Mila und Justy ist ja jetzt auch schon ziemlich lang geworden für einen Blog-Post.... Aber soviel kann ich sagen, die Geschichte geht auf jeden Fall noch weiter, vor allem weil Justy sehr hartnäckig sein kann wenn er will.
Aber gut, ich hoffe der erste Ausflug in mein Kopfkino
hat euch gefallen und ihr kommt nochmal wieder.
Alles Liebe 
Janna Mohlét



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